Miosga oder: Öffentlich-gespenstischer Rundfunk

(9. Mai 2025)

 

Einen neuen journalistischen wie politischen Tiefpunkt erlebte die an solchen ohnehin reiche Sendung „Caren Miosga“ am 4. Mai 2025.

Zum Thema „Trumps Ukraine-Deal: Neue Hoffnung auf Frieden?“ geladene Gäste waren der ehemalige Außenminister und Sozialdemokrat Siegmar Gabriel, die Friedens- und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff, der „Militäranalyst“ Franz-Stefan Gady sowie die ARD-Korrespondentin in der Ukraine Rebecca Barth. Bereits die Auswahl der Gäste bot – zusammen mit einer als Frontkämpferin bekannten Moderatorin – die Gewähr, dass auch an diesem Abend die Verpflichtung des Medienstaatsvertrags zur Meinungsvielfalt  – wie in unzähligen Ausgaben dieses und anderer (Maischberger, Illner…) Formate gründlich missachtet und nur eine, nämlich die bekannte Meinung zum anstehenden Thema verkündet wird: Europa braucht – am besten unter deutscher Führung – noch mehr Aufrüstung und militärische Unterstützung für die Ukraine. Davon lassen wir uns auch von erratischen Versuchen Trumps, den Ukrainekrieg zu beenden, nicht abbringen.

So mäanderte die Diskussion vor sich hin bis man nach etwa einer dreiviertel Stunde zu der vom Militäranalysten Gady unwidersprochen als solche identifizierte „Gretchenfrage“ kam:

„Was ist die Bedeutung, die die Ukraine für die europäische Sicherheitsarchitektur hat, welche konkrete Interessen hat Europa, hat Deutschland, haben andere Länder an der Aufrechterhaltung der Souveränität der Ukraine und welche Risiken sind wir bereit dort einzugehen. Und, die Gretchenfrage, die wichtigste Frage, die wir dort stellen müssen, sonst zerfällt dort jegliche Koalition, ist, sind wir gewillt, um die Ukraine zu verteidigen, um die Souveränität der Ukraine aufrecht zu erhalten einen direkten militärischen Konflikt mit Russland zu riskieren oder nicht. […] da müssen wir wirklich einen Blick drauf werfen… was sind unsere harten Interessen an der Ukraine, nur dann können wir auch wirklich die militärischen Ressourcen zur Verfügung stellen, um auch wirklich unsere Interessen in der Ukraine durchzusetzen.“

Gabriel sekundiert:

„Das Problem ist doch tatsächlich, dass wir eine strategische Frage nie beantwortet haben. Wir haben immer geschwankt zwischen ‚die Ukraine darf nicht verlieren‘ und ‚wir wollen aber auch keinen direkten Konflikt mit Russland haben‘. Man kann auch leicht sagen, das strategische Interesse bei uns ist, dass die Kontrolle der Konfliktzone entlang der Grenze Ukraine zu Russland und nicht an der jetzigen NATO-Linie erfolgt, das ist unser strategisches Interesse.“ […]

Meine Vermutung ist, dass je mehr der Eindruck entsteht, wir bereiten da einen größeren Konflikt mit Russland vor, die EU hat letztens gesagt, der Krieg mit Russland kommt ab 2030, ich weiß nicht, woher die Zahlen kommen, wär ich Putin, würde ich 2028 kommen, …aber es kann passieren, dass Sie innenpolitisch in riesiges Dilemma kommen, dass Sie zwar wissen, was Sie außenpolitisch zu machen haben, aber Ihnen innenpolitisch die Gefolgschaft verweigert wird. Das ist ein Problem, mit dem der deutsche Bundeskanzler, der jetzt gewählt wird, sozusagen umgehen muss. Er wird sehr viel nach innen kommunizieren müssen, um dafür eine Mehrheit zu haben, was er nach außen tun muss. […]

Das ist diese fehlende Debatte, das ist vielleicht sogar unser Hauptproblem… die Frage, folgen uns unsere Bürgerinnen und Bürger auf einem solchen Weg, verstehen sie, dass die Sicherheit unserer Kinder und Enkel jetzt davon abhängt, welche Erfahrung Russland mit uns macht.“

Deitelhoff: Was diese neue Regierung tun muss… ich glaube, sie muss entscheidungsstark sein, sie muss bereit sein, und das ist das schwierigste, was man einer Regierung zumuten kann, auch gegen deutliche Widerstände zu handeln, wenn sie es für notwendig erachtet…

Miosga: Widerstände von wem?

Deitelhoff: Aus der Bevölkerung.

Gabriel: Wenn sie noch nicht einmal in der Lage sind, sich auf eine konventionell stärkere Verteidigung zu verständigen…, wenn Sie nicht einmal in der Lage sind, die Wehrpflicht wiedereinzuführen… dann wollen wir reden über Nuklearwaffen? Da kann ich nur von abraten. Die Frage stellt sich aktuell nicht. …Aber die Wehrpflicht wiedereinzuführen wäre ein guter Punkt, um die Ernsthaftigkeit in der Bevölkerung zu debattieren… Allein die Debatte darüber, dass man so etwas wieder braucht, würde dazu beitragen, dass die Ernsthaftigkeit der politischen Diskussion größer wird.“

Dann steigt Militäranalyst Gady unter sekundierendem Nicken der Friedensforscherin ein. Natürlich ist auch er für die Wiedereinführung der Wehrpflicht, denn die Bundeswehr „braucht zehntausende aktive Soldaten, eine strategische Reserve von mindestens 200 bis 300 tausend davon sind wir weit, weit entfernt… und so frevelhaft das vielleicht klingt in Deutschland, aber Kriege werden letztendlich durch Reserven gewonnen, aber auch durch Reserven abgeschreckt, d. h. vor allem braucht Deutschland eine aktive Reserve und die wird nicht funktionieren ohne Wiedereinführung der Wehrpflicht.“

Da muss Gabriel schnell beruhigen: „Ja nicht als Vorbereitung auf den Krieg, sondern, um abzuschrecken.“ Es folgt… natürlich das bekannte Bellizisten-Bonmot, dass wer den Frieden will, den Krieg vorbereiten muss…“

 

Die neue Qualität der medialen Diskussion

Dass die deutschen Medien und Politik-, Militär-, Sicherheits-, Russland- oder Osteuropaexperten jeglicher Provenienz mehr Waffenlieferungen an die Ukraine, eine Fortsetzung des Krieges bis zum…, kurz eine Eskalation des Konflikts mit Russland fordern, daran hat man sich nach cirka dreieinhalb Jahren gewöhnt. Und wurden zu Beginn noch Diskussionen über die Lieferung bestimmter Waffen („Abwägung“) oder die Frage der Eigenschaft Deutschlands als Kriegspartei geführt, hat man das längst hinter sich gelassen. Aus dem anfänglichen Zögern wurde längst das Trommeln auf die eigene Brust: Deutschland ist nach den USA der größte Rüstungslieferant der Ukraine!

Amtlich begründet mit dem „Rückzug der USA aus Europa“, geht es nunmehr nicht mehr nur um die Aufrüstung der Ukraine, sondern die Europas insgesamt. Der Krieg in der Ukraine dauerte zwar inzwischen drei Jahre, ohne dass es grundlegende militärische Veränderungen gegeben hätte, aber mit einem Mal, innerhalb weniger Tage gleichsam, hatte sich Anfang März 2025 die Sicherheitslage so dramatisch verändert, war die Aufrüstung Europas, und das heißt, vor allem Deutschlands so dringend notwendig, dass noch der längst von einem neugewählten abgelöste, wenn auch verfassungsrechtlich noch handlungs- und entscheidungsbefugte alte Bundestag, ganz schnell eine Grundgesetzänderung beschließen musste, mit der die kreditfinanzierten Rüstungsausgaben keinerlei Beschränkungen mehr unterliegen.

Nun hat nicht nur Gabriel erkannt, dass es nicht nur darauf ankommt, viel, ja unbegrenzt Geld für die Rüstung zur Verfügung zu haben, nicht weniger wichtig ist es, diese Rüstung und die mit ihr verfolgten politischen Ziele auch politisch legitimieren und durchsetzen zu können.

Und da kommt in der Demokratie nun einmal das Volk ins Spiel, das, wie wir wissen, ein unsicherer Kantonist sein kann…

Deshalb ging es in der letzten Viertelstunde der Miosga-Runde, wie oben dokumentiert, darum, wie „wir“, die Politiker, die Experten, die Friedensforscherinnen und ihre Lautsprecher á la Miosga ihre Politik, ihre Interessen gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen können. Wie damit umzugehen ist, wenn die Bevölkerung

  • „einen direkten militärischen Konflikt mit Russland“ (Gady) nicht riskieren will,
  • „unsere harten Interessen an der Ukraine“ nicht hat und deshalb
  • die militärischen Ressourcen nicht „zur Verfügung stellen“ (Gady) oder
  • „keinen direkten Konflikt mit Russland haben“ (Gabriel) will.

Wie mit dem „riesigen innenpolitischen Dilemma“ umgehen, wenn „der Eindruck entsteht, wir bereiten da einen größeren Konflikt mit Russland vor“ (Gabriel)?

Wie damit umgehen, dass sich nicht genug Freiwillige finden, um die phantasierten zehntausende aktive Soldaten und zwei- bis dreihunderttausend Reservisten zu rekrutieren?

Nun, es wird der Instrumentenkasten der hegemonialen Herrschaft hervorgeholt, der von kommunikativer Manipulation (Gabriel: Der neue Bundeskanzler „wird sehr viel nach innen kommunizieren müssen, um dafür eine Mehrheit zu haben, was er nach außen tun muss.“) über propagandistische Penetranz (Gabriel: „Aber die Wehrpflicht wiedereinzuführen wäre ein guter Punkt, um die Ernsthaftigkeit in der Bevölkerung zu debattieren…“) bis hin zum offenen Ignorieren und Missachten (Deitelhoff: Die neue Bundesregierung „muss bereit sein, und das ist das schwierigste, was man einer Regierung zumuten kann, auch gegen deutliche Widerstände zu handeln, wenn sie es für notwendig erachtet…“).

So wird im gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland ganz offen und geradezu gespenstisch darüber diskutiert, wie die Politik es anstellen kann, sich einen Teufel um den Willen des Volkes zu scheren. Es sind dies dieselben Akteure, die uns dazu auffordern, die Demokratie zu verteidigen.

Nachdem vier Wochen zuvor der egomane und besserwisserische Josef Fischer bei Miosga sein Rüstungsprogramm ausbreiten durfte, war es nun Siegmar Gabriel, beide sich mit der Weisheit und Erfahrung eines ehemaligen Außenministers schmückend.

Siegmar Gabriel soll im Übrigen am 13. Mai 2025 in der Hauptversammlung eines der größten deutschen Unternehmen der Rüstungsindustrie, die sich heute euphemistisch „Verteidigungsindustrie“ nennt, der Rheinmetall AG, gewählt werden, deren Aktienkurs zwischen Mitte Mai 2020 und Mitte Februar 2022 bei 67 bis 95 Euro dümpelte, pünktlich zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs aber einen Kurs von 1.698 Euro, mithin eine Versechzehnfachung erreichte. Honni soit qui mal y pense.

Die Bevölkerung versteht hoffentlich, dass es hier nicht um die Sicherheit unserer Kinder und Enkel geht.

Und by the way: Von Abrüstung, Frieden, Verständigung, Kooperation war in diesem einstündigen Belfern kein einziges Wort zu vernehmen.