Atemlos vor der Wahl…

(4. September 2025)

Der GRÜNE Omid Nouripour hat das Atemholen in dem an Wahlen eher armen – Bundestagswahl am 23. Februar, Bürgerschaftswahl in Hamburg am 2. März, Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen am 14. September – Jahr 2025 genutzt, um einen Vorschlag für noch weniger Wahltermine in die Welt zu setzen: Innerhalb von fünf Jahren solle es künftig nur noch zwei Termine für Wahlen geben, einen für die Bundestags- und Kommunalwahlen in allen Bundesländern alle fünf Jahre, einen zweiten in der Mitte dieser fünfjährigen Periode für alle Landtage, die ebenfalls für fünf Jahre gewählt werden. „Wir haben eine Landtagswahl nach der anderen. Die maximale Zeit zwischen zwei Wahlkämpfen in Deutschland ist sechs Monate“, wird er zur Begründung seines Vorschlags zitiert. Das mache die Politik „komplett atemlos“ (tagesschau.de, 1.9.2025). Bei dessen Umsetzung könne man auch die Legislaturperiode des Bundestags auf fünf Jahre verlängern, damit die Verantwortlichen auch tatsächlich die Zeit hätten, „ihre Ideen umzusetzen“ (FR vom 2.9.2025).

Widerspruch kam prompt. Da waren zum einen die Föderalisten: Nouripours Vorschlag zeuge von zentralistischem Denken und verkenne die föderalen Grundlagen, schließlich seien die Länder eigenständige Verfassungsräume, so die schleswig-holsteinische Landtagspräsidentin Herbst (rnd.de, 2.9.2025). Gewohnt derb die Reaktion aus Bayern: "Wir Bayern entscheiden selbst über unseren Wahltermin und die Dauer der Legislatur", meinte der CSU-Generalsekretär und sprach von "typisch grüner Übergriffigkeit" und einem "Angriff auf den Föderalismus" (zeit.de, 2.9.2025).

Da waren des Weiteren die juristischen Pragmatiker: Da seien nicht nur das Grundgesetz, sondern auch Landesverfassungen, jeweils mit qualifizierten Mehrheiten zu ändern, das sei unmöglich zu bewerkstelligen.

Und dann gab es da schließlich auch wahlbezogene Argumente: Mit der Zusammenlegung der Wahltermine würden etwa Kommunalwahlen noch stärker als das ohnehin der Fall sei, von bundespolitischen Themen dominiert.

Auch die FAZ sah als Folge einheitlicher Wahltermine eine „noch stärkere Fixierung auf die Bundespolitik im dann mehr oder weniger einheitlichen bundesweiten Wahlkampf“, wodurch „die Bundesstaatlichkeit Deutschland unter die Räder“ gerate, die eine Form der Gewaltenteilung“ sei und dem Erhalt von Demokratie und Rechtstaat“ diene (FAZ, 2.9.2025, S. 8).

Aber es gab auch Zustimmung. Natürlich seitens der GRÜNEN. Der Kommentator der Frankfurter Rundschau hielt es für eine „interessante Idee“ (FR, 2.9.2025, S. 5). Sie habe zwar Schwächen, weil etwa die womöglich gute Bilanz von Ministerpräsidenten durch eine bundespolitisch motivierte Denkzettelwahl nutzlos bliebe., (Was freilich ein untaugliches Argument ist, weil nach dem Nouripour-Vorschlag Landtags- und Bundestagswahlen gerade nicht am selben Tag stattfinden sollen und auch bereits jetzt Landtagswahlen genutzt werden können, um bundespolitisch Denkzettel zu verteilen.) Für einen Segen hält der Kommentator die Idee der Vereinheitlichung von Wahlterminen aber, weil „dazwischen konzentrierter gearbeitet werden könnte“; ansonsten obsiege „viel zu oft parteipolitische Nutzlogik“.

Einige der Stellungnahmen sind klug, andere weniger, allen ist indes eines gemein: Sie alle nehmen ausschließlich die Perspektive des Staates und/oder der Politik(er) ein.

Bereits der Auslöser des Vorschlags, nämlich der Befund, die ständige Abfolge von Wahlkämpfen mache „Politik“, aber auch „Parteizentralen“ „komplett atemlos“, nimmt diese Perspektive ein. Politikern soll – ein schöner Nebeneffekt durch verlängerte Legislaturperioden – mehr Zeit zur Umsetzung ihrer Ideen gegeben werden.

Keine der zustimmenden wie kritischen Stimmen nimmt – soweit ersichtlich – dagegen die Folgen in den Blick, die eine Realisierung des Vorschlags für die demokratische Mitwirkung der Wählerinnen und Wähler, also des Volkes als demokratisches Subjekt hätte.

„In jedem vierten Jahr ein Kreuzchen schreiben, das ist doch nicht der Gipfelpunkt der Volksherrschaft“, heißt es schon im „Demokratielied“ aus der 1976 erschienenen „Proletenpassion“ der österreichischen Gruppe Schmetterlinge. Richtiger ist es freilich zu formulieren, dass es noch so hieß, denn die Diskussion um den Nouripour-Vorschlag belegt deutlich, dass Wahlen in der heutigen Debatte ausschließlich als Verfahren begriffen werden, gesetzgebende (auf kommunaler Ebene satzungsgebende) Körperschaften, also Bundestag, Landtage und Kommunalvertretungen hervorzubringen, die sodann ihre Arbeit machen. Der Vorschlag, und daran geht jegliche Kritik vorbei, bringt vor allem die Sehnsucht von Politikern zum Ausdruck, sich nach erfolgter Wahl möglichst lange (Legislaturperiode fünf Jahre!) unbehelligt von Einflussnahme oder gar Störungen durch das (Wahl)Volk sich dem parlamentarischen Betrieb widmen zu können.

Effizienz war und ist mehr denn je angesagt, weshalb etwa in allen Bundesländern mit Ausnahme Bremens die seit Gründung der Bundesrepublik geltende vierjährige Legislaturperiode sukzessive auf fünf Jahre verlängert wurde. (Nun müsste halt der Bundestag nachziehen und das Grundgesetz geändert werden.)

In jedem vierten Jahr ein Kreuzchen zu schreiben, ist nicht der Gipfelpunkt der Volksherrschaft. Und noch weniger wäre es ein solcher, alle zweieinhalb Jahre ein oder zwei Kreuzchen zu schreiben und in der Zwischenzeit den Politikern beim Regieren zuzuschauen.

Dass es nicht der Gipfelpunkt der Volksherrschaft ist, in jedem vierten Jahr ein Kreuzchen zu schreiben, bringt nichts als den fundamentalen Grundsatz zum Ausdruck, dass Demokratie auch zwischen den Wahlen zu praktizieren ist.

Für demokratische Aktivitäten stehen mannigfache Möglichkeiten zur Verfügung. Man kann demonstrieren, petitionieren, sich in Organisationen zusammenschließen, Leserbriefe schreiben…

Eine weitere Möglichkeit besteht aber auch darin, in einer Wahl seine Stimme abzugeben. Und deshalb ist es der Demokratie in höchstem Maße zuträglich, auf den verschiedenen staatsorganisatorischen Ebenen möglichst breitgestreute Wahltermine zu haben, in denen das Volk parlamentarische Gremien wählt aber auch seine Meinung kundtut, selbst wenn dies ( Stichwort „Denkzettel“) einer Regierung die Früchte ihrer Politik verhageln mag. Anti-demokratisch ist es dagegen – mit welchen Regelungen im Detail auch immer – Wahlen auf möglichst wenige Termine zu konzentrieren. Ob Herr Nouripopur und andere das bedacht und begriffen haben, ist hier nicht bekannt.