Vier Musketiere in Kiew

 (14. Mai 2025)

 

Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass der europäische Westen Kriegspartei des Ukrainekriegs ist, so haben ihn am vergangenen Wochenende die drei Musketiere, zu denen noch Donald D’Artagnan Tusk gestoßen ist, die sich gerne als die „Gefürchteten Vier“ sehen, aber auch, an einen Kraftstoffzusatz erinnernd, als E4 bezeichnet werden, am vergangenen Wochenende in Kiew erbracht, als sie ihren Freund Selenski besuchten und, nicht ohne vorher mit dem mächtigen Paten in Amerika telefoniert zu haben, Russland das „Ultimatum“ stellten, es habe bis Montag bedingungslos einem 30tägigen Waffenstillstand zuzustimmen. Dies entgegen allen anderslautenden Beteuerungen, zuletzt etwa in der Regierungserklärung von Kanzler Merz am 14. Mai: „Wir sind nicht Kriegspartei und werden dies auch nicht werden…“ (Wer in drei Teufels Namen kommt auf die Idee, Deutschland könne Kriegspartei sein, so dass man das immer wieder klarstellen muss…!?! Aber by the way: Kriegspartei zu sein, verhindert man nicht durch die Erklärung, keine Kriegspartei zu sein.)

Zurück zum Ultimatum: Komme Russland, dem nicht nach, so die Vier, dann werde man das nicht nur als Beweis fehlenden Friedenswillens ansehen, sondern tun, was Kriegsparteien eben tun: Mehr Waffen in die Ukraine liefern, und das geheim, sowie weitere, noch schärfere Sanktionen auf den Weg bringen. Man versucht also nicht nur, die Regie über die Verhältnisse, sondern auch die Hoheit über die Deutung der Verhältnisse, so sie nicht nach dieser Regieanweisung verlaufen, zu übernehmen. Zu dieser Anmaßung der Deutungshoheit passt die Erklärung von Merz, es habe sich bei der Reise der E4 um eine „historische Friedensmission“ gehandelt.

Der Hofberichterstatter des ZDF, Wulf Schmiese, frohlockte: „Europa mächtig vereint: Merz, Macron, Starmer und Tusk sind gemeinsam nach Kiew gereist - eine historische Friedensmission für mehr Druck auf Putin“. Nennt man das nun eine Berichterstattung, einen Reisebericht, einen Kommentar…, ja, was ist das eigentlich… na ja im deutschen Fernsehen ist das immer irgendwie dasselbe…

Indes stellt sich da die – freilich im öffentlichen Diskurs nicht gestellte – grundsätzliche Frage: Was legitimiert eigentlich Staaten wie die E4, die sich ja ausdrücklich nicht als Kriegsparteien verstehen, an eine der Parteien eines „fremden“ Krieges ultimative Forderungen zu stellen und damit in diesen Krieg einzugreifen?

Wenn im deutschen Fernsehen die „Sicherheitsexpertin“ vom German Marshall Fund, Claudia Major, auftritt, dann geht es um ganz wichtige Dinge, ums Ganze sozusagen.

Die setzte im ZDF-Morgenmagazin vom 12.5. gleich mal ein Ausrufezeichen: „Der russische Präsident ist ja auf das westliche Angebot einer vollumfänglichen Waffenruhe nicht eingegangen… man kann auch sagen, er hat es abgelehnt. Und er hat stattdessen zu direkten Gesprächen eingeladen oder er hat sie angeregt, währenddessen gehen die Kämpfe aber weiter, d. h. die Angriffe auf die Ukraine weiter.“

Dann kommt das Gespräch auf die Reise der E4, deren „Momentum“ Major „wirklich beeindruckend“ findet, darin einen „Riesenerfolg“ sieht, ein „wunderbares Beispiel“ für ein „europäisches Konzert“.

 

In der Tat, Putin ist auf das an den ‚Paten‘ erinnernde („Ich werde ihm ein Angebot machen, das er nicht ablehnen kann...“) „Angebot“ nicht eingegangen. Ebenso wenig wie der Westen auf das ‚Angebot‘ Putins, während eines Waffenstillstands keine westlichen Waffen mehr in die Ukraine zu liefern (Es ist dies ebenso wenig Angebot, sondern eine Forderung). Wie kann der Westen ernstlich erwarten, dass sich Russland auf einen sofortigen bedingungslosen Waffenstillstand einlässt, unter dessen Schirm er dann die Arsenale der Ukraine auffüllen kann, um danach unter neuen militärischen Bedingungen wieder zu beginnen?

Zwei Dinge erscheinen in dem Vorgang von Interesse:

Zum einen die Tatsache, dass man überhaupt einen Waffenstillstand fordert. Wer nicht an Amnesie leidet, erinnert sich, dass es vor allem die Europäer waren, die seit Beginn des Ukrainekrieges jegliche Forderungen nach einem Waffenstillstand entschieden und vehement, geradezu als Verrat an der ukrainischen und damit unserer Sache zurückgewiesen haben.

Von Beginn des Krieges an haben Menschen gefordert, für einen Waffenstillstand einzutreten und dafür zu arbeiten. Bis vor ca. einem Monat wurden all diejenigen, die einen Waffenstillstand, eine Waffenruhe oder ein Einfrieren des Krieges gefordert haben, von der deutschen Politik und Propaganda wahlweise, als „naiv“, „Putin-Freunde“ oder „-sprachrohre“, „Lumpenpazifisten“, „Friedensforscher“ etc. etc.… beschimpft. Im März 2024 stellte der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich in einer Rede im Bundestag die Frage: „Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann? Geht es nicht politisch auch um diese Fragen?“

Keine Polit-Talkshow, keine Zeitung, die nicht über ihn herfiel. Als Klingbeil die Äußerungen wachsweich verteidigte, hatte Miosga Schaum vor dem Mund: „Lassen Sie mich ausreden!“ Waffenstillstand war kein Thema.

Woher also der Sinneswandel, dass nicht die Forderung nach einem Waffenstillstand, sondern dessen Ablehnung sanktionswürdig ist?

Das Portal ‚German-Foreign-Policy‘ meint, die Ukraine befinde sich militärisch in der Defensive. Mit der Forderung nach einem bedingungslosen Waffenstillstand solle verhindert werden, dass die Ukraine während möglicher Verhandlungen weiter unter Druck gerate. Ganz und gar unglaubhaft ist Merz‘ Begründung, ein sofortiger Waffenstillstand sei unverzichtbar, weil es jede Woche Tausende Todesopfer in diesem Krieg gebe. Die gab es auch, so ‚German-Foreign-Policy‘ zu Recht, als Merz und andere deutsche Politiker ihn noch ablehnten, weil die Ukraine den Krieg „gewinnen“ müsse.

Auch das durch die Diskussion wabernde Argument, Waffenstillstands- oder Friedensverhandlungen könnten nicht stattfinden, solange gekämpft werde, ist weder logisch noch empirisch haltbar. Nur ein historisches Gegenbeispiel: Während der Verhandlungen zwischen Henry Kissinger und Le Duc Tho über ein Friedensabkommen für Vietnam in den Jahren 1970 bis 1973 fanden heftige Kampfhandlungen, insbesondere auch heftige amerikanische Bombardements in Nordvietnam statt.

Von Interesse ist weiter die Frage, warum gerade die E4 nach Kiew gereist sind, um dort ihre Forderungen zu präsentieren. Der Schmerz der Europäer bestand ja in den letzten Wochen darin, entweder gar nicht beteiligt zu werden oder am Katzentisch der Bemühungen um einen Waffenstillstand Platz nehmen zu müssen. Das Sagen hatten die USA und Russland. Das führte nicht nur die allenfalls zweitrangige geopolitische Bedeutung Europas (und der EU) vor Augen. Viel bedeutsamer ist, dass Europa sich nicht erst seit dem Abschluss des Rohstoffabkommens zwischen den USA und der Ukraine zusehends um den Lohn seiner Kriegsbeteiligung, um seine Kriegsdividende gebracht sieht. Damit soll jetzt Schluss sein. Europa drängt sich unter deutscher Führung an den (Ver-)Handlungstisch zurück. Man möchte maßgeblich über den Verlauf und vor allem über die Frage und die Bedingungen der Beendigung dieses Krieges mitbestimmen. Im Vorfeld der Reise der E4 hatte der Leiter des ukrainischen Präsidialamts, Jermak, in einem Beitrag für die FAZ (vom 8. Mai 2025) noch einmal ins Schaufenster gestellt, „Was die Ukraine Deutschland geben kann“: „Umfassende Investitionsmöglichkeiten für neue Energiekapazitäten in Höhe von 383 Milliarden Dollar“ werden angekündigt. Auch auf dem Gebiet der Rüstungsindustrie (‚Verteidigungssektor‘) habe die Ukraine, im laufenden Krieg geschult, einiges zu bieten. Die in den letzten drei Jahren verzehnfachte militärische Produktion eröffne „eine wertvolle Grundlage für die Zusammenarbeit mit deutschen Partnern bei der Stärkung ihrer eigenen Verteidigungsfähigkeit.“

Warum also will Europa unter deutscher Führung, auf die es so lange gewartet hat, selbst über die Bedingungen des Ukrainekriegs und dessen Beendigung bestimmen?