Alle (drei, vier) Jahre wieder…
17. April 2025
… kommt die Diskussion über die Zulässigkeit des Votums durch die Mitglieder einer Partei – bislang war es stets die SPD – zu einem vorliegenden Entwurf eines Koalitionsvertrages auf.
Bereits 2013 hatte ein Antragsteller beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) begehrt, der SPD im Wege einer einstweiligen Anordnung zu untersagen, eine Abstimmung ihrer Mitglieder über das Zustandekommen einer Großen Koalition durchzuführen. Die geplante Abstimmung verstoße gegen Art. 38 Abs. 1 GG, indem sie das Recht der freien Entscheidung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages in unzulässiger Weise einschränke. Sie verstoße außerdem gegen Art. 21 Abs. 1 GG. Da die Abgeordneten der SPD überwiegend von Nichtmitgliedern gewählt worden seien, verfälsche die geplante Abstimmung das Ergebnis der Bundestagswahl, indem sie letztlich die Abgeordneten von einer Entscheidung ausschließe und damit der Partei einen zu weitgehenden Einfluss zuweise. Durch Beschluss vom 6.12.2013 (Az. 2 BvQ 55/13) hat das BVerfG den Antrag zurückgewiesen, da eine zu erhebende Verfassungsbeschwerde sich nicht gegen einen Akt der öffentlichen Gewalt richten würde und deshalb unzulässig sei. Öffentliche Gewalt in diesem Sinne sei „vornehmlich der Staat in seiner Einheit, repräsentiert durch irgendein Organ“. Parteien wirkten nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) zwar bei der politischen Willensbildung des Volkes mit, der Abschluss einer Koalitionsvereinbarung zwischen politischen Parteien und die dem vorangehende oder nachfolgende parteiinterne Willensbildung wirkten nicht unmittelbar und dergestalt in die staatliche Sphäre hinein, dass sie als - auch in einem weit verstandenen Sinn - staatliches Handeln qualifiziert werden könnten.
Im organisatorischen Zusammenschluss einer Fraktion gehe die Freiheit und Gleichheit des Abgeordneten jedoch nicht verloren. Sie bleibe innerhalb der Fraktion bei Abstimmungen und bei einzelnen Abweichungen von der Fraktionsdisziplin erhalten. Wie die politischen Parteien diesen parlamentarischen Willensbildungsprozess innerparteilich vorbereiteten, obliege grundsätzlich ihrer autonomen Gestaltung. Dass die Abstimmung der Mitglieder einer Partei über einen Koalitionsvertrag für die betroffenen Abgeordneten Verpflichtungen begründen könnten, die über die mit der Fraktionsdisziplin verbundenen hinausginge, sei nicht erkennbar.
Der Entscheidung ist jedenfalls im Ergebnis, wenn auch nicht in jeder Hinsicht der Begründung zuzustimmen.
2017 wiederholten sich Diskussion und Anrufung des BVerfG. Erneut wurden alle eingereichten Anträge, eine Mitgliederbefragung der SPD über den Koalitionsvertrag für eine erneute Große Koalition zu untersagen, als offensichtlich unbegründet abgelehnt.
Pünktlich zur diesjährigen Mitgliederbefragung der SPD über den Koalitionsvertrag mit CDU und CSU melden sich erneut Stimmen, die deren Rechtmäßigkeit in Frage stellen. Von einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts ist einstweilen nichts bekannt. Sollte es dazu kommen, würde sie – so viel Prophetie sei erlaubt – erneut erfolglos bleiben.
Wo liegen die Kardinalfehler der Kritik an der Rechtmäßigkeit der Mitgliederbefragung?
Wenn das BVerfG in seiner Entscheidung aus dem Jahre 2013 ausführt, die Abstimmung der Mitglieder einer Partei über einen Koalitionsvertrag begründe für die betroffenen Abgeordneten keine über die mit der Fraktionsdisziplin verbundenen hinausgehende Verpflichtungen, so kann und muss diese Aussage dahingehend eingeschränkt und präzisiert werden, dass die Abstimmung der Mitglieder – oder noch deutlicher im Begriff der „Mitgliederbefragung“ zum Ausdruck kommend – überhaupt keine rechtliche Verpflichtung begründet.
Mit Blick auf die Freiheit des einzelnen Abgeordneten, das sog. „freie Mandat“ ist nämlich strikt zu unterscheiden zwischen der politischen Verantwortlichkeit einerseits und der juristischer Bindungslosigkeit der Abgeordneten andererseits. Dass diese, wie es in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG heißt, an „Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind, betrifft ausschließlich die rechtliche Bindungswirkung und bedeutet keineswegs, dass mit ihrer Wahl jeglicher politischer Verantwortlichkeit gegenüber ihren Wählern oder auch ihren Nicht-Wählern enthoben wären. Umgekehrt wären Abstimmungen, Abreden, Verträge etc., die eine juristisch verbindliche, möglicherweise sogar sanktionsbewehrte Verpflichtung begründen selbstredend unzulässig.
In diesem Sinne ist das wie auch immer ausfallende Ergebnis – es darf angesichts der politischen Lage und der betroffenen Partei Zustimmung prognostiziert werden – juristisch unverbindlich.
Und das erst recht gegenüber den Abgeordneten der SPD, denn diese sind ebenso wenig wie die der CDU oder CSU Adressaten des Mitgliederentscheids, denn sie entscheiden ja gar nicht über das Zustandekommen oder Nichtzustandekommen dieses Koalitionsvertrags.
Und noch mehr: Nichts von dem, was darinsteht, ist Gegenstand einer Entscheidung eines Bundestagsabgeordneten.
Ein Beispiel: Zeile 275 des Koalitionsvertrags: Auf nationaler Ebene wollen wir zeitnah ein novelliertes Außenwirtschaftsgesetz vorlegen.
Wer ist „wir“? Interessante Frage, jedenfalls nicht die Abgeordneten von CDU, CSU und SPD, denn die waren an der Aushandlung dieses Vertrags allenfalls in verschwindend geringer Zahl überhaupt beteiligt. Das Ding heißt denn ja auch „Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD“, also Koalitionsvertrag zwischen den Parteien.
Eine letzte Überlegung, gleichsam eine Gegenprobe. Wer entscheidet über die Annahme des Koalitionsvertrages, wenn nicht die Mitglieder der beteiligten Parteien? Schauen wir es uns an.
Bei der CDU entscheidet der „Bundesausschuss“, der sog. kleiner Parteitag am 28. April über den ausgehandelten Koalitionsvertrag. Er hat 160 Mitglieder.
Die CSU hat dem Vertrag bereits zugestimmt. „Der CSU-Vorstand hat in einer internen Sitzung mit den CSU-Bundes- und Landtagsabgeordneten den Koalitionsvertrag einstimmig gebilligt“, heißt es in einer Verlautbarung der Partei vom 10. April nach einer entsprechenden Schaltkonferenz.
Dass diese – im Vergleich zur Mitgliederzahl der SPD verschwindend kleinen Gremien – über den Koalitionsvertrag entscheiden, ist für die Kritiker einer Mitgliederbefragung offenbar kein Problem. Wenn es denn eine irgendwie andere als eine politische Bindung der Abgeordneten an den Koalitionsvertrag gäbe, wäre diese allein deshalb geringer, weil kleine Parteigremien darüber entschieden haben?