Die alten Fesseln lösen...

10. April 2025

 "Frei ist, wer sich nicht fesseln lässt. Das schließt selbst gesetzte Bindungen nicht aus." So beginnt der Kommentar eines der größten Bellizisten im Kreise der FAZ-Journalisten, Reinhard Müller (FAZ vom 24.3.2025). Nach dieser feierlichen Eröffnung nähert er sich in einem langen Anlauf, in dem die Lieblingsthemen dieser Journaille (Asylrecht, Ukraine) gestreift werden, seinem Thema: Dem heutigen vertrags-völkerrechtlichen Status Deutschlands.

"Deutschland verlor letztlich ein Viertel seines Staatsgebiets endgültig erst mit dem Zwei-plus-vier-Vertrag - es gewann aber die von vielen lange nicht mehr für möglich gehaltene Vereinigung von Bundesrepublik und DDR und staatliche Souveränität - in freier Selbstbestimmung, aber zu einem Preis, der über die Ostgebiete hinausging."

Halten wir kurze Zwischenbilanz: Deutschland verlor seine Ostgebiete, aber nicht etwa „im Felde“, sondern „endgültig erst“ durch einen unsäglichen Vertrag (auf den wir zurückkommen werden). Immerhin brachte der die Vereinigung von BRD und DDR, aber zu welchem Preis! Zu einem sehr hohen, der über den – ebenso schlimmen wie unverdienten – Verlust der Ostgebiete weit hinausging, nämlich…

„Deutschland verpflichtete sich nämlich auf (!) den Verzicht von atomaren, biologischen und chemischen Waffen und auf eine Obergrenze seiner Streitkräfte von 370.000 Soldaten.“

Zwar hatte  Deutschland auf solche Waffen bereits zuvor vertraglich verzichtet. „Doch seitdem ist es zusätzlich durch einen mehrseitigen Vertrag gebunden.“ Und: „Ein Kündigungsrecht ist nicht vorgesehen. Eine Änderung ist grundsätzlich nur durch alle Vertragsstaaten möglich. Wollte also Deutschland eigene Atomwaffen entwickeln oder erwerben“ (das nur einmal als völlig abwegiges Gedankenspiel…) „oder die Bundeswehr, sagen wir, wieder auf 500.000 Soldaten aufstocken (…), so brauchte es die Zustimmung der USA, Großbritanniens, Frankreichs – und (man wagt es kaum auszusprechen) Russlands.“

Kein Wunder also, dass Müller das nicht akzeptieren kann, sich deshalb umgehend auf die Suche nach der Lösung von dieser Fessel macht und, nicht weniger Wunder, eine solche auch findet: „Es gibt gute Gründe, hier von einem Wegfall der Grundlage für den Zwei-plus-vier-Vertrag zu sprechen, einer wesentlichen Änderung der Umstände, solange Deutschland sich durch die Beschränkungen des Vertrages nicht mehr wirksam verteidigen könnte.“

Fragte man die FAZ-Redaktion, so würde die das Vorliegen solcher Umstände umstandslos bejahen. Aber das ist natürlich nicht ausreichend, zumal selbst eine Vertragspartei nicht durch eine Änderung ihrer Haltung oder ihrer Interessen den Wegfall der Geschäftsgrundlage herbeiführen könnte und würde.

Und deshalb kommen auch Müller Zweifel: „Würde Deutschland sich darauf berufen, stellte sich allerdings die interessante Folgefrage, wie es die anderen, die westlichen Vertragsparteien (Russland ist scheinbar schon in den Bereich des Irrelevanten verschoben) damit hielten, Deutschland aus den Bindungen des Zwei-plus-vier-Vertrages zu entlassen.“ „Somit kommt es also auch für die Verbündeten zum Schwur.“ Deutschland stellt die Machtfrage.

„Der größte unter ihnen stellt freilich neuerdings das westliche Bündnis unverhohlen und wiederholt selbst infrage, indem…“ Damit sind auch die USA gleichsam aus dem Weg geräumt. Wer sich so verhält, hat kein Recht, andere an irgendwelchen vertraglichen Verpflichtungen festhalten zu wollen.

Bleibt also nur noch die Selbstfesselung Deutschlands. „Wer wie Deutschland in letzter Zeit sich gern als völkerrechtlicher Musterknabe geriert (…), der muss eine Loslösung (es ist kein Bruch, sondern eine „Loslösung“) von gar multilateralen – Verträgen mit Augenmaß prüfen. Denn das Signal darf nicht sein: Verträge gelten nicht mehr.“

Nein, die Botschaft darf nicht sein, Verträge gelten nicht mehr. Es gibt überhaupt keine Botschaft, außer der, dass wir Hüter des Völkerrechts sind. Nein, Verträge gelten weiterhin, wir halten uns einfach nicht mehr an sie, denn: „Eine Bindung freilich, die dem Land schadet oder nur einem Gegner und bisherigem Vertragspartner dient, kann keinen Bestand haben.“

Aber was an diesem vermaledeiten Zwei-plus-vier-Vertrag schadet unserem Land? Oder was in ihm dient „einem Gegner und bisherigen Vertragspartner“? Und was heißt eigentlich „bisherigen“ Vertragspartner? Russland ist es noch immer!

Der Kommentar von Müller kommt zu einem finale furioso: „Deutschland stellt keine Menschenrechte infrage, keine Grenzen, nicht die territoriale Integrität anderer Staaten. Im Gegenteil: Es schützt sie. Es darf dabei nicht untergehen. Die Verteidigung der eigenen Existenz in Freiheit – was ist gerade unter einer ‚wertebasierten Außenpolitik‘ (Hier umarmt die FAZ-Machtpolitik Moralismus und Geschichtsvergessenheit der GRÜNEN) wichtiger?

Räumt man Müllers sprachliche Nebelkerzen beiseite, bleibt nichts als die Aufforderung zum Vertragsbruch. Natürlich muss sie sich noch verbergen und verbirgt sie sich hinter verharmlosenden Formeln („aus den Bindungen des Zwei-plus-vier-Vertrages zu entlassen“, „mit Augenmaß prüfen“, „Loslösung“, „Eine Bindung … kann keinen Bestand haben“).

Kann uns das, muss uns das an etwas erinnern? Ja, es erinnert uns daran, dass Deutschland sich schon einmal von einem Vertrag lösen „musste“ und sich schließlich „gelöst“ hat, dass schon einmal ein Vertragswerk „keinen Bestand“ mehr haben konnte, weil seine Grundlage angeblich entfallen war: Der Versailler Friedensvertrag von 28. Juni 1919. „Die Bestimmungen des Versailler Diktats sind durch die tatsächlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen überholt. Deutschland kann nicht länger wehrlos bleiben.“ Das sagte Hitler zur Begründung für die vertragsbrechende Aufstockung der Wehrmacht und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im März 1935.

Schon wieder kann Deutschland nicht „wehrlos bleiben“, weshalb nicht nur die im Zwei-plus-vier-Vertrag vereinbarte Grenze von 370.000 Soldaten fallen, sondern auch über die Entwicklung oder den Erwerb von Atomwaffen durch Deutschland gesprochen werden muss.

Aber da man darüber wohl mit Russland nicht wird reden können, muss dieses Land von der machtpolitischen Landkarte verschwinden oder so mit dem Rücken an der Wand stehen, dass man keine Rücksicht mehr darauf nehmen muss. Und deshalb muss auch der Ukrainekrieg weitergeführt werden, koste es so viele Milliarden wie es wolle. Die Schatulle dafür (und nur auf die und nicht auf die Schatzkiste für die Mütterrente o. ä., wie die dummen GRÜNEN meinten, kommt es an) ist ja gerade geöffnet worden.